Eine Glasflasche ist uneingeschränkt kreislauffähig, kann bis zu 50 Mal wieder befüllt oder beliebig oft eingeschmolzen und zu einer neuen Glasflasche verarbeitet werden. Das Recycling von Druckprodukten und Verpackungen aus Papier und Karton ist um einiges komplexer. Die Lösung bietet die Kreislaufwirtschaft.
Was bedeutet der Begriff Kreislaufwirtschaft für die Druck- und Verpackungsbranche?
Die Schweiz ist Weltmeister – im Altpapier-Recycling. Schon neun von zehn Zeitungen und neun von zehn Wellpappschachteln werden recycelt. Was die meisten aber nicht wissen, ist, dass auch beim Papier-Recycling noch viele Ressourcen verloren gehen. Recycelt werden kann nämlich nur der Zellstoff. Das sind rund 70 Prozent des Gesamtvolumens. Gut 30 Prozent, hauptsächlich Farben und Füllstoffe, werden vom Zellstoff getrennt und bleiben nach dem Recycling als mehr oder weniger giftiger Schlamm zurück, der aufwendig entsorgt werden muss. Wer also glaubt, man könne Papier und Karton einfach wiederverwenden, im Sinne von «ab in die Papiersammlung und alles ist gut», liegt leider falsch.
Natürlich kann man versuchen, den Anteil «Dreck» etwas zu veringern und im Sinne der Umwelt effizienter zu produzieren, also ein Produkt möglichst wenig umweltschädlich herzustellen. Aber weniger schlecht ist noch lange nicht gut. Nützliche Produkte entstehen nicht durch die Reduzierung von schädlichen Substanzen. Die schädlichen Substanzen dürfen gar nicht erst eingesetzt werden. Mit dieser Erkenntnis, dass die Ökoeffizienz in eine Sackgasse führt, haben Renato und Markus Vögeli begonnen sich auf die Ökoeffektivität zu fokussieren. Ressourcen und Werte dürfen niemals vernichtet werden. Sie müssen immer im Umlauf bleiben und sich wenn möglich sogar positiv entwickeln.
Wie wird eine kreislauffähige Verpackung denn eigentlich korrekt entsorgt?
Gar nicht, denn sie wird im Gegensatz zu «umweltfreundlichen Recycling-Produkten» nicht «entsorgt». Das Gegenteil der Kreislaufwirtschaft ist die sogenannte «Wegwerfwirtschaft». Im Gegensatz dazu werden kreislauffähige Produkte ganzheitlich als wertvoller Nährstoff zurück in das biologische System gebracht. In der Praxis können die Verpackungen also sowohl über den Altpapierkreislauf wie auch über den Kompost zu neuen Ressourcen werden. Am Ende der Nutzung eines Produkts steht die Rückkehr zur Mutter Natur mit nur positivem Effekt und keinerlei Rückständen sowie ohne Belastung für die Umwelt während des gesamten Zyklus – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.
Wie muss der Druckprozess optimiert werden, damit die Produktion und die Produkte den Anforderungen der Kreislaufwirtschaft entsprechen?
Um eine Kreislauffähigkeit bei Druckprodukten zu erreichen, müssen alle verwendeten Materialien wie Papiere und Karton, Farben, Lacke und Leime für Mensch und Umwelt unbedenklich sein, so dass diese vollumfänglich in den natürlichen Kreislauf zurückgegeben werden können. Aus Überzeugung, dass der Ansatz von Cradle to Cradle® der richtige ist, wurde 2016 entschieden die gesamte Produktion der Vögeli AG auf diesen komplett neuen und vor allem komplett ganzheitlichen Denkansatz umzustellen. Damit ist die Vögeli AG die weltweit erste Cradle to Cradle Certified Gold Druckerei. Nicht umsonst betitelten 2020 die großen Schweizer Medien Tages-Anzeiger und Der Bund ihre Berichte über Vögeli mit «Die nachhaltigste Druckerei der Welt».
Das Druckereiunternehmen hat seit jeher eine Pionierrolle hinsichtlich Ökologie und Nachhaltigkeit eingenommen. Cradle to Cradle jedoch wird auch als Königsdisziplin der Kreislaufwirtschaft betitelt. Der Aufwand, der mit der Umstellung der Produktion einhergeht, sollte nicht unterschätzt werden. Bei der Produktion nach Cradle to Cradle muss mit erneuerbarer Energie gearbeitet werden. Der ressourcensparende Umgang mit Wasser, soziale Fairness und geschlossene Materialkreisläufe müssen garantiert sein. Zuletzt müssen viele Produkte sozusagen noch mal neu «erfunden» werden.
Worauf muss bei der Entwicklung von kreislauffähigen Produkten alles geachtet werden?
Jedes Produkt muss von Grund auf neu aufgebaut werden, denn es sind meist zu viele Substanzen, teilweise zudem in Abhängigkeit zueinander, die nicht verwendet werden können. Dies, um von Anfang an alles richtig zu machen und dann selbstverständlich auch die begehrte Cradle to Cradle Certified Gold-Zertifizierung zu erreichen, um das Potential besser auszuschöpfen, die grosse Nachfrage zu bedienen und die Produkte auf dem gesamten Markt anbieten zu können.
Hier sind tatsächlich Erfindergeist und Innovation gefragt, vor allem aber auch Erfahrung. Die Druck- und Verpackungsbranche muss zusammenarbeiten, um Innovationen voranzutreiben und so viel Fortschritt wie möglich innerhalb der Branche zu gewährleisten. Vögeli macht dies konkret innerhalb der Kooperative «Print the Change» mit den Druckereien gugler* aus Österreich und KLS Pureprint aus Dänemark, um gemeinsam neue Produkte zu entwickeln und gleichzeitig die Herstellung von bedruckten Papier- und Kartonerzeugnissen aus ökologischer Perspektive zu revolutionieren. «Wir kooperieren nicht, um neue Geschäfte oder neue Kunden zu gewinnen», erklärt Markus Vögeli, Geschäftsführer der Vögeli AG. «Wir arbeiten zusammen, um Nachhaltigkeit zu entwickeln. Alle Druckereien können daran teilnehmen, da wir im Rahmen der Zusammenarbeit Wissen und Kosten für die Entwicklung neuer Materialien und Lösungen teilen können.»
Wenn alles aus natürlichen Substanzen besteht, sind dann neben Produkt- und Versandverpackungen auch Verpackungen für Lebensmittel möglich?
Die Produktverpackungen Cradle to Cradle Certified Gold von Vögeli bieten sich für Textilien und vieles mehr an und sind selbst für Lebensmittel geeignet, wie der Geschmacks- und Migrationstest der Swiss Quality Testing Services bestätigt. In Zusammenarbeit mit der EPEA Switzerland GmbH, dem akkreditierten Gutachter für die Cradle to Cradle Certified Zertifizierung wurden mit allen Lieferanten der Vögeli AG alle eingesetzten Materialien in der Kategorie «Materialgesundheit» Cradle to Cradle Certified bewertet, optimiert und auf einen bis anhin weltweit unerreichten Stand gehoben. Die Möglichkeit der Verwendung von kreislauffähigen Verpackungen bildet den Anfang grösserer Veränderungen für die Lebensmittelindustrie (und für andere Branchen).
«Die Verpackungsindustrie setzt mehr Chemikalien ein als andere Produktsparten. Die Kreislauffähigkeit ist in dieser Branche kaum gegeben, – jedenfalls nicht im Sinne von Cradle to Cradle. Wir sehen ein Riesenpotenzial für die Verpackungsindustrie, Lösungen zu erarbeiten und zu implementieren», erklärt Albin Kälin, CEO EPEA Switzerland GmbH. Zurzeit würden in der Papier und Druckproduktion sehr viele chemische Substanzen eingesetzt, die teilweise toxisch sind, manche krebserregend, mutagen oder retrotoxisch, betont der Insider.
«Eine Migration bei Lebensmittelverpackungen aus Papier ist nicht zu verhindern, ausser mit Kunststoffbeschichtungen. Die Cradle to Cradle-Lösung ist ein anderer Ansatz und kreislauffähig. Wenn alle Substanzen sicher für biologische Kreisläufe sind, kann auch eine mögliche Migration unbedenklich sein. Mit den bedruckten Papieren und Halbkartons der Vögeli AG aus dem Emmental wurden weltweit erstmals Verpackungslösungen umgesetzt, die zukunftsfähig sind. Dies ist ein Meilenstein», so Albin Kälin abschliessend.
Sind kreislauffähige Druckprodukte und Verpackungen teurer in der Herstellung?
Geringfügig – und dies auch nur, wenn noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden muss, also in der «Print the Change»-Kooperative nicht schon ein ähnliches Produkt existiert, das man adaptieren kann. Unterm Strich sind die nachhaltigen Verpackungen für die Kunden der Vögeli AG maximal 5 Prozent teurer, je nach Produkt.
Doch auch wenn nachhaltige Druckprodukte etwas teurer, weil in der Entwicklung komplizierter sind als herkömmliche, sind sie wirtschaftlich. Denn sie bieten einen Anreiz. «Eine Verpackung ist ja nicht nur Schutz, sondern auch Marketing. Sie bietet wichtige visuelle Aspekte für die Verkaufsförderung und steigert das Renommee des Produkts, das man verkaufen will», sagt Markus Vögeli dazu. «Durch eine nachhaltige Verpackung werden auch die inneren Werte eines Produkts wichtiger, weil man dem Kunden einen echten Mehrwert bietet.»
Beim Kunden kommen die nachhaltigen Produktverpackungen also sehr gut an, hinterlassen ein positives Gefühl und zahlen auf das Image des Produkts ein. Eine Win-Win-Win-Situation für Hersteller, Kunde und Umwelt! Kleine und mittelgrosse Auflagen sind übrigens nichts aussergewöhnliches und ohne Einschränkung möglich – auch veredelt und individualisiert. So wurden beispielsweise bei der Faltschachtel für CALIDAs nachhaltige «100% NATURE»-Produkte die üblichen Kunststoffhaken durch Haken aus kreislauffähigem Karton ersetzt.
Sind Produkte in kreislauffähiger Verpackung am Ende also doch teurer für die Konsumentinnen und Konsumenten?
Eine von Vögeli in Auftrag gegebenen Internet-Umfrage (Google Survey) zum Thema nachhaltige Lebensmittelverpackungen besagt, dass über ein Drittel der Konsumenten und Konsumentinnen für dasselbe Lebensmittelprodukt in einer nachhaltigen Verpackung 5 Prozent mehr bezahlen würden, knapp ein Drittel sogar 10 Prozent mehr. Doch damit noch nicht genug: Fast ein Fünftel der Befragten würde sogar einen Preisaufschlag von 20 Prozent und mehr in Kauf nehmen.
Renato Vögeli, Geschäftsleitung der Vögeli AG, fasst die Frage nach der Wirtschaftlichkeit gut zusammen: «Im Zentrum der Kreislaufwirtschaft steht der Erneuerungsprozess. Daraus entsteht gleichzeitig ein attraktiver USP für den Hersteller und ein Sympathiebonus beim Konsumenten.» Die Macht der Konsumenten und deren Nachhaltigkeitsbestrebungen werden zukünftig eine immer grössere Rolle spielen. Noch sind zu 100 Prozent nachhaltig verwertbare Verpackungen ein Image-Gewinn für Marken und ihre Produkte. Doch bald schon werden diese «nice-to-have»-Merkmale zu «must-have»-Anforderungen. Das Fazit für den Verkauf von Produkten im Detailhandel mit Hinblick auf die Konkurrenz lautet also: Kommt ein qualitativ ähnlich gutes, ähnlich begehrtes Produkt in einer nachhaltigen Verpackung daher, wird der reflektierte Konsument sich immer für dieses Produkt entscheiden. Und dies zu Recht, der Umwelt zuliebe.